BERGSTEIGERMENTALITÄT

Foto by Richard Brusa
Piz Bernina - Biancograt - "Die Himmelsleiter"

 

Achtsames Gehen

Schritt für Schritt. So erreicht der Bergsteiger hohe Ziele. Es gibt nur diesen jetzigen Schritt. Natürlich wissen wir innerlich genau, dass wir in einigen Stunden das Gipfelziel erreicht haben werden. Für das psychische Wohlbefinden ist das gedankliche Vorauseilen nicht vorteilhaft. Ein routinierter Berggänger hat jahrelang geübt, sich einfach nur auf den nächsten Schritt zu fokussieren und gleichzeitig im Bewusstsein zu halten, dass uns viele Schritte mit Bestimmtheit zum Ziel führen werden. 

 

 

Sein eigenes Tempo finden

Der geübte Bergsteiger kennt seinen eigenen Rhythmus. Es braucht eine besonders gute konditionelle Verfassung, sein Tempo stets der Gruppe oder einem Bergkameraden anzupassen. Die höchste Leistungsfähigkeit erreichen wir, wenn wir unser eigenes Tempo finden. Am Berg und im Leben.

 

 

Sonnenseite oder Schattenseite

Das Bewusstsein für die Polarität in allen Aspekten des irdischen Daseins wurde mir nirgends so bewusst vor Augen geführt, wie beim Aufstieg über die berühmte Himmelsleiter, die uns über den steilen Nordgrat auf den Piz Bernina führt. Siehe Bild oben. Wir gehen exakt auf der Grenze zwischen Sonne und Schatten. Es bleibt uns nichts anderes übrig als auf der Lichtseite zu bleiben. Ein falscher Schritt nach rechts könnte zu einem Absturz in die Finsternis bedeuten. Dieser Grenzgang führt uns vor Augen, dass es zu jeder Schattenseite auch eine Sonnenseite gibt. Und dass wir immer die Wahl haben, uns für die Dunkelheit oder für das Licht zu entscheiden. Am Berg und im Leben.

 

 

Das Beigemüse zum Glück ist die Anstrengung

Nach unzähligen Jahren und wachsender Bergerfahrung dürfen wir immer wieder die Erfahrung von höchstem Gipfelglück erleben. Zuvor müssen wir jedoch die Komfortzone für ein paar Momente oder Stunden verlassen, vielleicht müssen wir am Berg sogar richtig leiden, schwitzen, schnaufen und unsere Grenzen jenseits der Bequemlichkeit spüren. Auf dem Gipfel ist jedoch jede Anstrengung sehr schnell vergessen und weicht jener Einsicht, dass sich die Strapazen gelohnt haben. Es entsteht sogar ein Gefühl von höchster Zufriedenheit aus dem Bewusstsein, für sein Ziel etwas ausserordentliches geleistet zu haben. Der Lohn der Anstrengung ist das FLOW-Gefühl auf dem Gipfel. Das gilt für Berggipfel, aber genauso für jedes andere hohe Ziel, das wir im Leben nur durch eine engagierte Anstrengung erreichen konnten: persönlich - partnerschaftlich und beruflich. 

 

 

Ausdauer

Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist eine zähe Ausdauer. Nie aufgeben ist das erstrebenswerte Ideal. Manche Dinge brauchen einen ziemlich langen Atem. Privat - geschäftlich - alpinistisch. Lange Bergtouren, die in feuchtfinsteren Niederungen beginnen und auf sonnenhellen Traumbergen gipfeln, sind das beste Übungsfeld dazu. Am Berg dürfen wir lernen, was im ganzen Leben Anwendung findet. Am Ziel geniessen wir ein fantastisches Gipfelpanorama. Und schon ist alle Anstrengung vergessen. Die morgendliche Ungewissheit, der Aufbruch in der Dunkelheit bei ungewisser Wetterentwicklung, die Überwindung, dennoch einfach Schritt für Schritt loszugehen. Die langen Stunden des anstrengenden Aufstieges. All dies lässt sich bestens auf Alltagssituationen im Privaten oder in geschäftlichen Belangen anwenden.

 

 

Mut

Der Aufbruch ins Ungewisse, die Überwindung loszugehen ohne sicher zu sein, ob das Alpin-Ziel wirklich erreicht werden kann, ob die Schwierigkeiten und die Verhältnisse wirklich so sind, wie erwartet; dies braucht Mut und eine gewisse Risikofreudigkeit. Auch wenn wir auf all unseren Touren durch eine minutiöse Vorbereitung das Risiko so gut wie möglich in ein kalkulierbares Risiko verwandelt haben, bleiben immer noch eine ganze Reihe von Unsicherheitsfaktoren, die es immer wieder zu überwinden gilt. Es braucht den Mut zum Risiko und zur Annäherung an die eigenen Grenzen. 

 

 

Konzentration

Bei anspruchsvollen Bergtouren gibt es immer wieder Situationen, wo uns bewusst ist, dass wir schlicht und einfach keinen Fehler machen dürfen, weil jede falsche Bewegung oder fehlerhafte Manipulation zu einem tödlichen Unfall führen kann. Am besten kann ich das versinnbildlichen, wenn wir uns vorstellen an einer scharfen Kante am Abgrund zu stehen. Der natürliche Überlebensimpuls führt dazu, dass wir sofort hoch konzentriert sind und in höchster Achtsamkeit darauf bedacht sind, nicht in die Tiefe zu stürzen. Auch beim Klettern gibt es keine Alternative zu einer Haltung der absoluten Präsenz. Die Schwierigkeit am Fels hilft uns, zu 100 Prozent auf das zu fokussieren, was JETZT ist. 

 

 

Disziplin

Bewusste Langsamkeit, saubere und geordnete Manipulationen mit der Alpinausrüstung, gute Schulung bis zur Routine, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit gegenüber seinen Bergkameraden, ein passendes Zeitmanagement, eine realistische Einschätzung seines Bergzieles und seiner eigenen Leistungsfähigkeit. All dies gehört zu einer unabdingbaren Disziplin am Berg, die auch in allen anderen Lebensbereichen ihre Spuren hinterlässt.

 

 

Belastbarkeit

Stundenlanges Gehen, anhaltende Anstrengung in der Nähe der eigenen Leistungsgrenze, langes Ausharren jenseits der Komfortzone; all das erfordert eine hohe Belastbarkeit. Der Berg ist dazu das beste Übungsfeld, indem wir den Schwierigkeit und die Länge einer Tour selber bestimmen und allmählich auch steigern können. Das lässt sich sehr gut auf das praktische Leben übersetzen.   

 

 

Bescheidenheit

Der Berg lehrt uns, wie klein wir eigentlich sind. Der Berg lehrt uns Bescheidenheit, Demut, Achtsamkeit. "Die Berge sind stille Meister und machen schweigsame Schüler." Zitat von Johann Wolfgang von Goethe.

 

 

Respekt

Es ist ein lebensrettender Aspekt, den Schwierigkeiten am Berg den nötigen Respekt entgegenzubringen, sich selber nicht zu überschätzen und die Gefahren im Hochgebirge nicht zu unterschätzen.  

 

 

Dankbarkeit

Ein Gefühl von Dankbarkeit stellt sich ein nach einer vollbrachten Anstrengung, nach einer gelungenen Tour, nach einem guten Gespräch. Und vor allem nach einem langen und unfallfreien Bergsteigerleben. Es ist einfach pure DANKBARKEIT dem Leben gegenüber, für die reiche Fülle an geschenkten Erfahrungen, Glücksmomenten und Natureindrücken. Es ist eine Dankbarkeit, die zu einem Gefühl der Erfüllung, der Zufriedenheit und der Entspannung führt.